Seit 1. Juli 2023 ist der zwischen den Waldkliniken Eisenberg und der Gewerkschaft ver.di geschlossene Haustarifvertrag in Kraft. Geschäftsführer David-Ruben Thies über Herausforderungen und Learnings sowie die Rolle von Transparenz in den Verhandlungen.
230 Tage Eisenbergertarif – wie sieht Ihr Zwischenfazit aus? Erreicht Ihr Haustarifvertrag alle Berufsgruppen?
David-Ruben Thies Es ist ein sehr schönes Zwischenfazit, dass ich ziehen kann. Eine überwältigende Mehrheit der Mitarbeitenden ist in die Gewerkschaft ein- und diesem Tarifvertrag beigetreten. Stand heute 555 Menschen aus unserem Unternehmen. Nahezu alle Berufsgruppen sind proportional dabei. Wir haben knapp über 800 Mitarbeiter. Auffällig ist, dass die Mehrheit der Ärztinnen und Ärzte noch nicht an diesem Tarifvertrag teilnehmen. Aus der Tradition heraus ist für sie immer noch der Marburger Bund zuständig. Die jungen Ärztinnen und Ärzte, die bei uns eintreten, sind offener unserem Haustarifvertrag gegenüber als die älteren, die noch nicht aus dieser emotionalen Historie herauskommen.
Unser Tarifvertrag wirkt am Markt, insbesondere in der Pflege. Aber auch bei einfachen Tätigkeiten, wo wir ja auch gesucht haben, in der Spülküche, in der Reinigung, bei allen nicht qualifizierten Berufen wirkt der Tarifvertrag nachdrücklich. Wir sind auf dem Weg dahin, sowohl in der Pflege als auch in anderen Bereichen, bei freien Stellen wieder auswählen zu können. Das ist in Zeiten von Fachkräftemangel der eigentliche Luxus.
David-Ruben Thies beim DIGITALEN KLINIKFORUM
Wann entstand die Idee zum Haustarifvertrag? Womit haben Sie begonnen?
David-Ruben Thies Das müsste ich selbst nachsuchen lassen in meinen alten Kalendern. Ich vermute mal 2016, 2017. Ich habe über ein Jahr und mehrere Anläufe benötigt, um einen Ansprechpartner bei ver.di zu finden. Und dort galt es zunächst, eine anfängliche Skepsis und große Verwunderung zu zerstreuen. Bei der Gewerkschaft fragte man sich: Warum ruft ein Arbeitgeber plötzlich zu Tarifverhandlungen auf? Das haben wir noch nie gehabt.
Welche weiteren Schritte sind Sie von der Idee bis zur Umsetzung gegangen, Herr Thies? Was gab es dabei alles zu beachten?
David-Ruben Thies Innerhalb der Waldkliniken haben wir uns sehr schnell entschieden, transparent in diese Tarifverhandlungen hineinzugehen. Das heißt: mit allen Kennzahlen. Man kann einer Gewerkschaft nur etwas abverlangen, wenn diese weiß, wie viel Geld die Gegenseite zur Verfügung hat. So haben wir intern einen groben Kostenrahmen definiert und offengelegt. Das hieß bei uns: totale Transparenz über alle Kennzahlen. Es gab keine einzige Kennzahl, die wir nicht transparent gemacht haben.
Parallel dazu haben wir auch hausintern geschaut, was langjährige Mitarbeitende neben finanziellen Aspekten anspricht, also nicht nur auf eine Neuakquise von Mitarbeitenden zu setzen, sondern auch Mitarbeiter im Unternehmen zu halten. Das war in der Pflege leicht: Einfach den Menschen die Möglichkeit geben, früher in Rente zu gehen, ohne auf Geld zu verzichten!
Natürlich haben wir uns mit Studien befasst. Vor allem die Studie der Arbeitnehmerkammer Bremen bleibt bei mir haften. Für die Studie wurde ehemaligen Pflegekräften folgende Frage gestellt: „Unter welchen Bedingungen könnten Sie sich vorstellen, wieder in der Pflege zu arbeiten?“
Ich fand diese Studie toll. Aus den Ergebnissen ergab sich ein klarer Handlungsauftrag. Ich habe sie jedenfalls als solchen verstanden.
Zudem haben wir uns mit der Arbeitswissenschaft beschäftigt, hatten Kontakt zu Lehrstühlen, Professuren … um zu erfahren, wohin die Trends gehen. Wir fragten uns: gibt es Trends, die sich abzeichnen und wenn ja, welche sind das. Wir wollten keinen rückwärtsgewandten Tarifvertrag, und das Ganze zusammen mit ver.di. Wir haben nicht direkt das Verhandeln angefangen, sondern zunächst Material zusammengetragen, von der Hans-Böckler-Stiftung beispielsweise, auch um ein Gefühl zu erhalten, wo die Reise schwerpunktmäßig hingehen könnte.
Geld spielt da zunächst kaum eine Rolle. Andere Themen dominieren: Die Stabilität von Dienstplänen, die Vereinbarkeit von Privatem und Beruflichem, das pünktliche Nachhausegehen, Erfüllung finden in der Arbeit, Wertschätzung, Zusammenarbeit in berufsgruppenübergreifenden Teams – und viele dieser Punkte haben zunächst einmal mit einem Tarifvertrag ganz wenig zu tun.
Können Sie näher auf die Herausforderungen eingehen, die während der Verhandlungen mit der Gewerkschaft aufgetreten sind? Gab es eine besondere Hürde für Sie, die Sie überwinden mussten?
David-Ruben Thies Wir haben zunächst gemeinsam mit der Gewerkschaft auf Basis der Erkenntnisse von Studien und Materialien usw. abgesprochen, alles erst einmal zuzulassen. Auf der Ideenebene waren wir uns schnell mehr als einig. Die Herausforderung war schließlich, zu priorisieren, was davon machen wir, welche Maßnahme kostet wieviel und welche können wir uns leisten.
Wir hatten viele liebgewonnene Ideen, auch ich, und die Herausforderung lag weniger in der Zusammenarbeit mit ver.di. Das Schwierigste war es, liebgewonnene Ideen wieder streichen zu müssen.
Welche Learnings haben Sie aus dem gesamten Prozess mitgenommen und welche Tipps würden Sie anderen Verantwortungsträgern geben, die ebenfalls einen Haustarifvertrag in Erwägung ziehen?
David-Ruben Thies Es sind ganz viele Learnings. Das erste Learning ist, dass Gewerkschaften durchaus bereit sind, mit Arbeitgebern partnerschaftlich zusammenzuarbeiten, dass auch Gewerkschaften offen sind und Lust auf Gestaltung haben.
Das zweite ist, dass es sich lohnt, in Transparenz und Vertrauen zu arbeiten. Alle Beteiligen sind damit gut und vertrauensvoll umgegangen. Wichtig war, dass wir offen an die Sache herangegangen sind. Jede Idee ist eine Idee und sie hat erst einmal ihre gleichberechtigte Wirkung auf dem Tisch.
Und schließlich habe ich viel Basiswissen mitgenommen und viel über Gesetze gelernt. Ich wusste nicht, dass Tarifverträge nur für die Mitglieder der Gewerkschaft gelten. Da kamen auch Vorwürfe auf uns zu, wir würden unsere Mitarbeitenden erpressen, in die Gewerkschaft zu gehen. Dabei halten wir uns lediglich an die Gesetze. Wenn andere Entscheider ihre Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklären, so ist es ihre Sache.
Der Eisenbergertarif – das war für alle eine Lernkurve, mit der wir auch noch nicht fertig sind.
Vielen Dank für das Interview, Herr Thies.
Über David-Ruben Thies:
David-Ruben Thies ist Geschäftsführer der Waldkliniken Eisenberg GmbH sowie der Meine Polikliniken GmbH.
Er begann seine Karriere im Gesundheitswesen als Krankenpfleger in München.
Nach seinem Diplom zum Krankenhausbetriebswirt wurde er nach weiteren Positionen in München und Suhl 2008 CEO der Waldkliniken Eisenberg.
Zusammen mit Vera Starker und Mona Frommelt veröffentlichte er im Frühjahr 2022 das Sachbuch “New Work in der Medizin” (Rossberg Verlag, ISBN 978-3-948612-13-9, 28 €).
Jörg Mielczarek
Chefredakteur
Mit dem Pflegemarkt Report verfolgen ich und mein Team das Ziel, den Pflegenotstand in Deutschland sichtbar zu machen. Aktuelles, Erfahrungsberichte und Trends sollen Entscheidern dabei helfen, ihre Personalgewinnung zu stärken.
Darüber hinaus schlägt mein Herz für die Literatur der Weimarer Republik und meinen Heimatverein Rot-Weiß Ahlen.
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