Die Zukunft der Gesundheitsversorgung: Ein Gespräch mit Prof. Dr. Jochen A. Werner über die Rolle der Digitalisierung 

Prof. Dr. Jochen A. Werner ist Vorstandsvorsitzender und Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Essen. Als “Medical Influencer” und Experte auf dem Gebiet der digitalen Gesundheit hat er maßgeblich dazu beigetragen, innovative Technologien und digitale Lösungen in die medizinische Versorgung zu integrieren.  

Sein neues Buch “Der smarte Patient” hat er zusammen mit Prof. Dr. David Matusiewicz verfasst. Es zeigt auf, wie moderne Technologien dazu beitragen können, dass Patienten informierte Entscheidungen über ihre Gesundheit treffen können. In unserem Interview spricht Prof. Dr. Werner über die Bedeutung von digitaler Gesundheit, die Rolle des Patienten in der heutigen medizinischen Landschaft und die Herausforderungen und Chancen, die mit dem Einsatz neuer Technologien in der Gesundheitsversorgung einhergehen. 

Wir freuen uns sehr, dass beide Autoren ihre Expertise auf dem Digitalen Klinikforum am 28.11.23 teilen werden. 

Interview mit Medical Influencer Prof. Dr. Jochen A. Werner:

Sie sind ein vielbeschäftigter Mann, Prof. Dr. Werner. Wie findet man bei all den Aufgaben, mit denen Sie täglich zu tun haben, überhaupt noch die Zeit, ein Buch zu schreiben? 

Prof. Dr. Werner: Die Zeit findet man, wenn man von einem bestimmten Gedanken getrieben ist. In meinem Fall war es der Wunsch, den einzelnen Patienten bestmöglich helfen zu können. Das war schon immer mein Antrieb, seit ich Arzt wurde. Ich habe selbst erlebt, wie es ist, auf der anderen Seite des Behandlungstisches zu sitzen, und das hat mich dazu motiviert, etwas in diesem Bereich zu bewegen.

Nachdem ich festgestellt habe, dass ich als Arzt nur in meinem Fachgebiet wirklich helfen kann, habe ich mich für eine Tätigkeit im Krankenhausmanagement entschieden. Doch ich habe auch hier gemerkt, dass wir nicht auf die Politik warten können, um Veränderungen herbeizuführen. Deshalb habe ich begonnen, über YouTube und in Zusammenarbeit mit David Matusiewicz Gedanken zu sammeln, die schließlich in unserem Buch über die Digitalisierung im Gesundheitswesen mündeten. 

Es war viel Arbeit, oft auch am Wochenende oder abends, aber die Erfüllung, die ich darin gefunden habe, hat mir auch Energie gegeben. Letztendlich war es der Wunsch, etwas Sinnvolles zu tun, der mich dazu gebracht hat, die Zeit für das Buch zu finden. 

"In Deutschland haben wir das beste Gesundheitssystem der Welt! Heute würde ich sagen: Nein, nicht mehr."

Sie sind kein Ersttäter, im letzten Jahr habe ich von Ihnen „So krank ist das Krankenhaus“ gelesen. Wie kamen Sie dazu, Ihre bereits im ersten Buch vorgestellten Ideen zur digitalen Transformation im Gesundheitswesen in „Der smarte Patient“ zu vertiefen?

Prof. Dr. Werner: Im Grunde gab es den Ausschlag bei der Pandemie. Das war für alle, besonders für uns im Gesundheitswesen, eine riesige Herausforderung. Dann wurde ja auch offenkundig, dass wir zunächst überrollt wurden. 

Wir wussten nicht, wer eigentlich geimpft ist, welche Reaktionen die Impfung auslösen kann, wo diese dokumentiert werden sollten … Wie sind die einzelnen Verläufe? Wo gibt es freie Betten? Es gab so viele Fragen. Und dann habe ich gedacht: Wir müssen uns jetzt mal einfach dazu bekennen, zu sagen, wir haben eine ganze Reihe von Aufgaben. Und wir dürfen nicht den Fehler machen, den wir zu Beginn der Pandemie gemacht haben. 

Als wir die erschreckenden Bilder aus Bergamo, Italien sahen, haben wir gesagt: “Aber in Deutschland haben wir das beste Gesundheitssystem der Welt!” Heute würde ich sagen: Nein, nicht mehr. Weil es heute nicht nur mit der meist analogen Behandlungsqualität zusammenhängt, sondern auch mit der Organisation, mit der Verfügbarkeit und, und, und. Da habe ich gesagt, nein, jetzt machen wir mal eine Analyse: So krank ist das Krankenhaus, was funktioniert nicht? Aber es sollte nicht eine beklagende Analyse sein, sondern es sind ja auch Wege der Veränderung aufgezeigt worden. 

Dann war nun der nächste Schritt zu sagen: Wir möchten jetzt, nachdem wir über diese Krankenhausthematik gesprochen hatten, auf den Patienten eingehen.

"Das Dilemma ist der demografische Wandel. Wir haben heute bereits viele Schließungen von Pflegeeinrichtungen. Wir sehen, es müssen Krankenhäuser geschlossen werden."

Also wurde Ihr Buch für die Patienten geschrieben?

Prof. Dr. Werner: Ja, so ist es, einfach, weil wir sehen, dass wir in ein Dilemma hereinkommen. Das Dilemma ist der demografische Wandel. 

Wir haben heute bereits viele Schließungen von Pflegeeinrichtungen. Wir sehen, es müssen Krankenhäuser geschlossen werden

Wir haben das Problem, dass Pflegekräfte noch viel zu sehr mit der Dokumentation beschäftigt sind. Und jeder hat Angst, zu wenig zu dokumentieren, denn anderenfalls hat man Rechtsprobleme. 

Und so behindern wir uns zu sehr gegenseitig. Dann haben David und ich gesagt, wir bringen das zu Papier.

Wie ist es zur Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Matusiewicz gekommen? Wer von Ihnen hat welche Schwerpunkte bearbeitet?

Prof. Dr. Werner: Die Zusammenarbeit ist jetzt ca. sechs, sieben Jahre her. Vom Alter trennen uns 25 Jahre. Die Zusammenarbeit mit David begann vor etwa sechs bis sieben Jahren. Wir lernten uns bei einem Telefonat kennen, das ursprünglich um eine Preisverleihung ging. Da das Telefonat emotional ein wenig schwierig war, beschlossen wir, uns persönlich zu treffen, und es funkte sofort zwischen uns. Wir entschieden uns spontan, gemeinsam einen YouTube-Kanal namens DIGI HEALTH TALK zu starten, um über die Digitalisierung im Gesundheitswesen zu sprechen.

Unser Buch haben wir in verschiedene Schwerpunkte unterteilt. Ich habe mich auf medizinische Themen konzentriert, während Prof. Dr. Matusiewicz sich auf ökonomische Aspekte fokussierte. Seine Erfahrung von sieben Jahren bei einer Krankenkasse und seine Lehrtätigkeit an der FOM im Gesundheitswesen haben uns bei der Zusammenarbeit an dem Buch sehr geholfen.

Wir haben jedoch auch gemeinsam an bestimmten Bereichen gearbeitet, wie beispielsweise an der Onlineplattform YES WE CANcer, der größten europäischen Patientenselbsthilfe-Plattform. Wir waren beide im Beirat tätig. Diese Plattform ist ein herausragendes Beispiel für die digitale Vernetzung von Menschen, die sich gegenseitig unterstützen und Erfahrungen austauschen können, insbesondere im Gesundheitsbereich. Da können sich Menschen 7 Tage die Woche 24 Stunden täglich austauschen, und man findet zu jeder Uhrzeit immer jemanden, der einem eine Frage beantwortet.

Meine nächste Frage haben Sie sich in Ihrem Buch selbst gestellt: Alles Science-Fiction? 

Prof. Dr. Werner:  Nein, keineswegs. Wir haben zwar alle Personen in unseren Kurzgeschichten erfunden, um rechtliche Probleme im Zusammenhang mit Datenschutz zu vermeiden, aber es ist nicht so, dass alles nur ausgedacht ist. Viele Themen sind jeden Tag erlebbar.  

Was muss geschehen, dass aus Ihren Visionen gelebte Wirklichkeit wird? Wie wollen Sie die Menschen abholen und sie für die digitale Transformation im Gesundheitswesen begeistern?

Prof. Dr. Werner: Ich glaube, David Matusiewicz und ich haben die Gabe, Menschen zu begeistern. Wir möchten, dass jeder, unabhängig von seinem Hintergrund, unsere Expertise verstehen kann. Aber wir brauchen auch Unterstützung, um unsere Ziele zu erreichen. Wir müssen die Menschen erreichen und dafür ist eine breite Reichweite unerlässlich. 

Wir brauchen die Medien, um sicherzustellen, dass keine Patienten mehr sterben, weil wichtige Informationen zu spät vorliegen. Stellen Sie sich vor, Ärzte und Pflegekräfte wissen sofort, was mit einem Patienten los ist, wenn sie ihn behandeln müssen. Das ist entscheidend! Wir dürfen nicht zulassen, dass Datenschutz zum Hindernis wird. Natürlich müssen wir verantwortungsvoll mit Daten umgehen, aber wenn es um die Gesundheit und das Wohlergehen der Patienten geht, müssen wir schnell handeln können. Datenschutz sollte uns nicht davon abhalten, Leben zu retten und die Behandlung zu verbessern. Näheres hierzu auch unter dem Hashtag #toddurchdatenschutz, den ich öffentlich machte.

Prof. Dr. Werner gemeinsam mit Chefredakteur Jörg Mielzcarek auf der Frankfurter Buchmesse

"Wir dürfen nicht zulassen, dass Datenschutz zum Hindernis wird. Natürlich müssen wir verantwortungsvoll mit Daten umgehen, aber wenn es um die Gesundheit und das Wohlergehen der Patienten geht, müssen wir schnell handeln können. Datenschutz sollte uns nicht davon abhalten, Leben zu retten".

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten – sagen wir, Sie könnten sich diesen Wunsch vom Bundesgesundheitsminister oder von der Bundesregierung erfüllen lassen – was würden Sie sich wünschen? 

Prof. Dr. Werner: Wenn ich mir einen Wunsch frei aussuchen könnte, wäre es für mich von großer Bedeutung, dass das Thema Gesundheit als Pflichtschulfach in die Grundschule eingeführt wird. Dabei sollten auch Themen wie Klimaschutz und Ernährung integriert werden, um Kinder frühzeitig für Gesundheit zu sensibilisieren.

Ein weiterer Wunsch von mir wäre, dass mehr für ältere Menschen getan wird, insbesondere in Bezug auf die Pflege. Aktuell gibt es bereits Insolvenzen in Pflegeheimen und es ist untragbar, dass 90-jährige Menschen umgesiedelt werden müssen, weil es an Pflegekräften mangelt. Ich glaube, dass künstliche Intelligenz und Robotik hier unterstützend wirken können, um Einsamkeit bei älteren Menschen zu bekämpfen. Ein Serviceroboter, der kommunizieren, Geschichten vorlesen und Quiz-Spiele machen kann, könnte eine wichtige Rolle spielen. Aus diesem Grund habe ich eine Initiative mit dem Hashtag #wirfürdiealten ins Leben gerufen. Wenn wir diese Themen stärker in den Fokus rücken, wäre ich beruhigt und überglücklich   

Vielen Dank für das Interview, Herr Prof. Dr. Werner!  

Prof. Dr. Jochen Werner beim Digitalen Klinikforum am 28.11.23

Gemeinsam mit Experten wie Prof. Dr. Jochen Werner und Prof. Dr. Matusiewicz betrachten wir das Thema "Kliniksterben abwenden: Zukunftsfähige Wege im Patienten- und Personal­management".

Jörg Mielczarek
Chefredakteur

Mit dem Pflegemarkt Report verfolgen ich und mein Team das Ziel, den Pflegenotstand in Deutschland sichtbar zu machen. Aktuelles, Erfahrungsberichte und Trends sollen Entscheidern dabei helfen, ihre Personalgewinnung zu stärken.

Darüber hinaus schlägt mein Herz für die Literatur der Weimarer Republik und meinen Heimatverein Rot-Weiß Ahlen.

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